Kühe sind aggressiver als die Bullen
Bis in die 50er Jahre des letzten Jahrhunderts waren die Rinder tagein, tagaus im Freien.
Heute verbringen sie den Winter in dreiseitig geschlossenen Ställen mit weitem Auslauf und werden außerdem noch zu weiten Spaziergängen hinausgetrieben. Von Anfang April bis Ende Oktober aber sind sie Tag und Nacht draußen auf der Pußta, ohne Weidezäune, ohne Sonnen- oder Regenschutz, ohne Zusatzfutter. Geburt, Krankheit und Tod vollziehen sich im wesentlichen ohne Eingreifen des Menschen. Hirten treiben die Herde von Weideplatz zu Weideplatz und tränken sie aus den Schwengelbrunnen mit dem trüben, bitteren Grundwasser der Pußta. Wenn die Kühe abgekalbt haben, lässt man die Stiere dazu - zwei bis drei pro Herde -, die bis zum Sommer mit den Kühen gehen und ihre Aufgabe erfüllen. Während dieser Zeit sind sie noch sanfter gestimmt als gewöhnlich.
Was von den Stieren gesagt ist, gilt nicht für die Kühe. Das weibliche Geschlecht zeigt Kampfgeist und Angriffslust, und man tut gut, den Rindern nicht zu nahe über den Weg zu laufen, besonders wenn sie ein Neugeborenes führen. Ihr Tempo ist erstaunlich schnell, ihre Bewegungen sind geschickt. Deutlich sind die wilden Vorfahren erkennbar, die Wolf und Bär trotzten. Erst in diesem Frühjahr wurden wir Zeugen, wie eine junge Kuh das Pferd eines vorbeireitenden Pferdehirten attackierte und umwarf. Es hätte übel ausgehen können, wenn sich das wütende Tier statt mit dem großen Hut des Reiters mit diesem selbst beschäftigt hätte.
Um kein falsches Bild entstehen zu lassen: Auch die Stiere können kämpfen! Sie fechten in jedem Frühjahr, bevor sie zu den Kühen gehen, ihre Rangfolge aus. Man führt die geeigneten Bullen zusammen, sechs bis acht Stück. Bald beginnen die Rangeleien untereinander, aber immer als Zweikampf. Die Bullen stehen sich mit gesenkten Köpfen gegenüber, scharren gewaltig die Erde mit den Hufen, brummen dumpf und drohend. Zum eigentlichen Kampf kommt es nicht immer, meist trollt sich derjenige, der sich schwächer glaubt. Er wird noch eine Weile verfolgt und dann in Frieden gelassen. Solch einen lässt man gar nicht erst zu den Kühen.
Geraten zwei Stiere ernsthaft aneinander, dann krachen die Hörner mit solcher Wucht zusammen, dass nicht selten eines absplittert. Aber selbst dann merkt man: Es ist keine Tötungsabsicht dabei, es geht nur um den Beweis, wer der Stärkere ist. Um Verletzungen zu verhindern, setzen die Hirten Messingkugeln auf die scharfen Hornspitzen der wüstesten Raufbolde. Wenn die Stiere alle schwächeren Geschlechtsgenossen herausgekämpft haben, gehen sie gemeinsam in die Kuhherde, denn die Gleichstarken akzeptieren einander.