Alles wird angegriffen

Nach 15 Monaten wird das Junge geboren. Es ist dann schon so groß wie ein halbwüchsiges Schwein und besitzt auch bereits ein kleines Horn. Meist bleibt es mehr als zwei Jahre bei seiner Mutter, die während dieser Zeit schon wieder brünstig wird.

Nashorn
Huftiere

Bis zur Trennung hält sich das Junge dicht an die Mutter; man meint, dass ein Jungtier, das so am Schürzenzipfel hängt, niemandem etwas zuleide tun könnte. Doch da täuscht man sich. Kommt man zum Beispiel bei einer Fotosafari in einem afrikanischen Reservat einer gemütlich dösenden Nashornmutter allzu nahe, dann kann es passieren, dass der Nachwuchs einen spielerischen oder auch ernsthaften Angriff auf das Auto startet. Dabei zeigt auch die Mutter eine ganz neue Seite ihres Temperaments.

War man bis dahin der Überzeugung, dass Nashörner plumpe, phlegmatische Tiere seien, die den größten Teil des Lebens mit Dösen und Fressen verbringen und zu lebhaften Bewegungen oder Gefühlsäußerungen unfähig sind, so wird man schnell eines Besseren belehrt. Wie der Blitz springt die Kuh auf und greift den vermeintlichen Feind ihres Kindes an.

Aber nicht nur Mütter sind so aggressiv. Nashörner sind ganz allgemein cholerische Tiere. Wenn sie sich auch große Teile des Tages in der Suhle aalen oder genüsslich im feinen Sand dösen und sich von den Madenhackern Ungeziefer aus den Hautfalten holen lassen - die Fliege an der Wand kann sie auf die Palme bringen. Dann springen sie auf und stürmen blindlings auf den Störenfried los. Das Horn halten sie dicht am Boden, der Schwanz zeigt in die Höhe; laut prustend rennen sie auf den Gegner los, um ihn auf die Hörner zu nehmen oder einfach zu überrennen. Dabei orientieren sie sich mit dem Gehör und mit dem Geruch; der Gesichtssinn ist sehr schlecht ausgebildet. Man nimmt an, dass ein Nashorn bereits auf wenige Meter Abstand nicht mehr unterscheiden kann, ob ein unbeweglicher Gegenstand ein Mensch oder sonst etwas ist. Sobald also ein vermeintlicher Gegner geortet ist, stürmt es blindlings geradeaus und überrennt alles, was ihm im Wege steht.

Eine Regel für Angegriffene lautet: Ruhig stehen bleiben und im letzten Moment blitzschnell zur Seite springen. Denn dann rennt das Nashorn an einem vorbei und so Lange weiter geradeaus, bis die Wut verraucht ist. Angeblich vergisst es dabei auch den Anlass zu seinem Ärger; jedenfalls sucht es im allgemeinen nicht mehr nach dem Gegner. Ob diese Regel stimmt, habe ich nicht erprobt. Ich kenne auch keinen, der diesen Trick erfolgreich getestet hat. Ich sah nur in einem Film, wie ein gereiztes und wütendes Nashorn einem Landrover folgte, dabei aus vollem Lauf gewaltige Hiebe seitlich nach dem Reifen ausführte und dem Wagen auch bei Ausweichbewegungen folgte.

Neueren Untersuchungen zufolge macht das Nashorn auch Scheinangriffe, bleibt dann kurz vor dem Ziel stehen und trollt sich. Ich habe im Auto drei solcher Scheinangriffe erlebt, weiß aber auch von Fällen, in denen ein Wagen ziemlich verbeult und das Karosserieblech sogar durchstoßen wurde. Einmal soll ein wütendes Nashorn einen Güterzug zum Entgleisen gebracht haben.

Bei all diesen Geschichten muss man daran denken, dass es in Afrika zwei Arten von Nashörnern gibt: das Schwarze oder Spitzmaul-Nashorn (Diceros bicornis) und das Weiße oder Breitmaul-Nashorn (Ceratotherium simum). Die gefährlichen Begegnungen sind dem bis zu 3,40 Meter langen, bis 1350 kg schweren Spitzmaulnashorn zuzuschreiben; es kann bis zu 1,60 m Schulterhöhe erreichen. Es lebt vorwiegend am Rande von Buschwald oder in Dornbuschsavannen und ernährt sich von den Blättern der Akazien und anderer Büsche. Diese pflückt es mit seiner sehr beweglichen Oberlippe zwischen den scharfen Dornen heraus.