Unschuldig und dämonisch

Die Ziege gehört zu den ältesten Haustieren, sie scheint schon vor dem Schaf gezähmt worden zu sein. Seit etwa 8000 v. Chr. ist ihre Heimat Vorderasien, Nordafrika und Griechenland.

Ziegenherde
Damit Sie uns nicht zoologische Irreführung vorwerfen: Natürlich ist das auf dem Bild eine Schafherde, in der nur einzelne Ziegen mitziehen.
Huftiere

Ihre Zähmung hat einen wesentlichen Anteil an der Sesshaftwerdung des Menschen, da sie ihm die Grundnahrungsmittel Fleisch und Milch lieferte, die er sich früher als Nomade auf seinen Jagdzügen beschaffen musste. Zugleich bewirkte die Ziege aber auch durch ihre Nahrungssuche den Niedergang der Länder, in denen sie zu Hause war; gerade durch ihre Genügsamkeit raubte sie dem Boden den Rest an dürftiger Vegetation, den er einst noch besaß.

Zeugen ihrer weiten Verbreitung in diesen Ländern sind zahlreiche Abbildungen auf Siegeln und Tongefäßen, besonders in Ägypten und Babylonien. Unsere älteste schriftliche Quelle ist das Alte Testament, das uns zeigt, wie wichtig die Ziege für die Bevölkerung war, der sie Nahrung lieferte, mit Haaren und Fell Kleidungsstücke und Sitzgelegenheiten und mit den Ziegenschläuchen Behälter für Wasser und Wein. Schon bei den Juden hatte sie kultische Bedeutung. Vom dritten Jahrtausend an wurde sie einer Gottheit zugeordnet, der sie als Opfer dargebracht wurde. Hier entstand auch die Geschichte vom Sündenbock, als der Priester Aaron nach der Opferung einer Ziege einem zweiten Tier die Hand auflegte, ihm damit alle menschlichen Sünden übertrug und es in die Wüste hinaustrieb. Es kommt hier das Doppelwesen der Ziege zum Ausdruck, das Unschuldige wie das Verworfene und Dämonische. Diese Auffassung verstärkte sich im Christentum.

In chronologischer Betrachtung müssen wir zuerst auf die Antike zu sprechen kommen. Obwohl die Ziege in der griechischen Mythologie eine wichtige Rolle spielt, die ihrer Verbreitung im Lande entspricht, gibt es erst bei den Römern wissenschaftliche Angaben über unser Haustier. Die wichtigste Bemerkung, die auch eng mit der Anschauung von der Ziege in Sage und Volksglauben verknüpft ist, macht der bekannte römische Naturforscher Plinius. Er sagt, sie habe ständig Übertemperatur, die ihr ein hitziges Temperament und einen leidenschaftlichen Paarungstrieb verleihe. Sonst gibt es noch durchaus moderne, aber auch recht kuriose Bemerkungen über die Ziege. Heute werden Vivisektionen als moderne Errungenschaft von Tierliebhabern kritisiert. Daher staunt man über die Nachricht, dass schon der große Arzt Galen einem voll entwickelten Ziegenembryo durch Kaiserschnitt zum Leben verhalf und beobachtete, wie er sich selbst auf die Beine stellte.

Gerühmt wird namentlich der Abwehrinstinkt der Ziege gegen zahlreiche Krankheiten, der sie die richtige Pflanze fressen lässt, die sie von Krankheit oder Verletzung heilt. Dieser Glaube versteigt sich bis zu der Annahme, die Ziege könne sich an einem bestimmten Dornbusch selbst den grauen Star operieren - und die Menschen hätten diese Operation von den Ziegen gelernt. Weit verbreitet war in der Antike die Theorie, Ziegen und Schafe könnten selbst das Geschlecht ihrer Kinder bestimmen: bei Südwind gebe es weibliche, bei Nordwind männliche Tiere. (Ob Windstille zur Zeit der Begattung empfängnisverhütend wirkt, war nicht bekannt.)