Nicht schlimmer als ein Wespenstich

Wie steht's aber nun wirklich um das Tarantelgift?

Spinnen
Tarantel

Wenn Sie das Porträtfoto ansehen, entdecken Sie an den Seiten der beiden brandroten Bärte je eine rote, gebogene Klinge - ähnlich einem Türkensäbel. Man nennt diese Giftklauen "Chelizeren". Sie sind innen hohl und führen das Gift, das einem Menschen etwa so zusetzt wie der Stich einer Wespe. Es ist also unnötig, einen Arzt aufzusuchen, da sich alle Symptome wieder von selbst verflüchtigen. Die Wirkung eines Tarantelbisses hängt außerdem sehr davon ab, über wieviel Gift die Tarantel im Augenblick des Bisses verfügt, wann also die Spinne zuletzt ein Beutetier getötet hatte. Ferner spielt natürlich auch die psychische Verfassung des menschlichen Opfers eine Rolle, wie gut oder wie schlecht der Schock eines Spinnenbisses verdaut wird. Einen Wespenstich kennt man - einen Tarantelbiß nicht, und man ahnt Fürchterliches. Im übrigen ist es auch nicht ganz gleichgültig, wohin die Tarantel beißt. Das ist wie beim Wespenstich, dessen Folgen ebenfalls ungleich ausfallen.

Ich muß allerdings gestehen, dass mir der echte und heroische Forschertrieb leider fehlt, der nötig wäre, um diese Frage aus Erfahrung zu beantworten. Zwar habe ich schon etliche Taranteln gepflegt und hätte leicht am eigenen Zeigefinger ausprobieren können, wie ein Tarantelbiß piekt. Ich schließe mich aber lieber dem Heer jener kühlen Zoologen an, die darüber berichten, wie weh dieser Spinnenbiß anderen Menschen getan hat. Einhellig ist man der Ansicht, dass diese Leute sich nicht so haben sollen.

Ja, wäre es eine schwarze Witwe, ein Latrodectus, jene schwarzorangeschockfarbene Giftspritze, da züge man den Hut. Aber bei einer Tarantel?

Die Jagdtechnik der Lycosa ist die des Überfalls. Sie streift - meist nachts - umher oder lauert im Versteck und versucht, im kurzen Sprint nach Art eines Geparden oder eines Habichts ihr Wild zu erwischen. Häufig hockt die Jägerin - quasi im Tiefstart - im Eingangsloch ihrer unterirdischen Burg und wartet auf ein ahnungsloses Insekt, das da des Weges kommt. Genau wie der Wanderfalke, der so schnell startet, dass er seine Beute "überfliegen" würde und nicht greifen könnte, gibt auch die Tarantel einem Käfer oder einer Heuschrecke meist einen kleinen Vorsprung, bevor sie aus dem Startloch schnellt und über ihre Beute kommt. "Über" ihre Beute - das ist wichtig. Denn die achtbeinige Jägerin beißt ihr Opfer am liebsten in den Nacken. Diese Vorliebe für den Nackenbiß der Lycosa hat der berühmte französische Insekten- und Spinnenforscher J.-H. Fabre ermittelt; Fabre wohnte in dem kleinen südfranzösischen Ort Serignan (unweit Orange), einem Gebiet, wo Taranteln häufig sind. Er nahm, um die Spinnen herauszufordern, lebende Bienen in Gläsern mit, stülpte dann einfach die Gläser über die Tarantellöcher und verfolgte, was geschah. Anscheinend mögen Taranteln Bienen nicht besonders, denn Fabre mußte schon sehr hungrige Spinnen finden, bis sie sich zum Angriff entschlossen. Bissen die Taranteln aber, dann bissen sie stets in den Nacken, und die Bienen waren auf der Stelle tot.