Pithecanthropus himalayensis

Und der Yeti-Skalp, den sich Hillary seinerzeit im Kloster Thyangpoche ausborgte und in Brüssel untersuchen ließ, ist eine Fälschung. Hals- und Rückenhaut eines Thar, einer Halbziege, waren gestreckt, geformt und getrocknet worden. Die Mönche verwahren eine falsche Reliquie.

Die Trophäen? Sie beweisen ebenfalls nichts.

Aber der Metch-Kangmi geistert weiter durch den Himalaja - "ein Nachträuber, eine furchterregende Bestie, wild, gemein, stinkend" - und durch die Zeitungen. Solange noch eine Chance besteht...

Möglicherweise sind es noch unbekannte Anthropoiden, vergleichbar den Australopithecinen, die vor zwei bis drei Millionen Jahren gerade den Übergang vom Affen zum Menschen vollzogen? Übriggebliebene Vorfahren des

Neandertalers sozusagen? Das Hochgebirge wäre das Rückzugsgebiet, in dem sie überleben, auf Almen und in den Rhododendron-Buschgürteln, die über 3000 Meter Höhe hinaufreichen. Dafür, daß ihre Spuren in größeren Höhen gefunden wurden, in der vegetationslosen Zone und immer im Bereich von Pässen, gibt es eine einfache Erklärung: sie wechseln über von einem Berghang zum andern. Ein lebender Vormensch, der über die Himalajapässe stapft?

Und noch eine Deutung: Englische Zoologen, John Napier und Charles Stonor, haben nachgewiesen, daß Orang-Utans, die zweitgrößte Menschenaffenart, bis ins 18. oder 19. Jahrhundert hinein auf dem asiatischen Festland und nach Fossilfunden in jedem Fall in den westlichen Ausläufern des Himalaja lebten. Das zufällige Beobachten eines solchen Tieres könnte der Ursprung der Metch-Kangmi-Legende der Nepali sein, die dann über Generationen hinweg weitergegeben wurde. Die Orang-Utans von damals würden eine Yeti-Zeichnung in einer alten tibetanischen Schrift aus dem 17. oder 18. Jahrhundert erklären. Und auch die Reaktionen von Sherpas, denen Charles Stonor in Nepal Orang-Utan-Fotos zeigte.

"Yeti! Yeti!" - mit diesen Ausrufen identifizierten ein paar hundert Männer den Menschenaffen.

Die phantastischen Geschichten über den Yeti werden nur ein Ende haben, wenn man ihn fangen, vermessen und wiegen könnte. Sie werden aber endlos währen, solange Menschen nach ihm suchen und vermeintliche Beweise finden oder fälschen. Wenn sie widerlegt werden, wird man aufs neue suchen. Dies wird sein, solange Phantasie die Sinne täuscht, solange wir noch an Geheimnisse glauben wollen oder können, solange wir auch noch Geschichten lesen wie jene, die John Hunt 1973 passierte (und die sich bei Tilman an der gleichen Stelle wiederholte, am Zemu-Paß, Kangchendzönga): Auf einem Schneehang entdeckte er eine doppelte Spurenreihe, ganz frisch, dachte an Stiefelspuren und an eine Partie, die ihm bei der Überquerung zuvorgekommen sei; er guckte sich auf der Höhe die Augen aus nach den anderen, sah nichts, niemanden - und erfuhr hinterher, daß keine andere Expedition auch bloß in der Nähe gewesen war.

Auch solange Sherpas am Küchenfeuer ihre Geschichten erzählen, die keine Beweise brauchen, weil sie nicht Wissenschaft sind, sondern eben Geschichten: "Yeti machen drei Schrei. Zorn: uh-uh-uh! Rufen: huiii-huiii-huiii! Liebe: ko-ko-ko!"

Für die nepalesische Regierung ist der Metch-Kangmi ohnehin ein Faktum. Auf der offiziellen Karte der Himalaja-Fauna erscheint der Yeti ebenso wie Thar und Bartgeier. Und an einem leeren Zookäfig in Lalitpur, vor drei Jahren vier Tage lang die Behausung für einen Orang-Utan, Geschenk an die Königsfamilie, hängt ein amtliches Schild: "Yeti - Pithecanthropus himalayensis".

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