Ein Einzelgänger greift an

Eines Tages kam von Osten her ein Fremdstorch angeflogen, ein Einzelgänger, der noch kein Nest gefunden hatte. Die Störchin war im Nest bei den Jungen, Vater Storch stolzierte auf der Wiese.

Als der fremde Storch über dem Dorf schwebte, spreizte die Störchin drohend die Flügel und klapperte zu dem Fremden hoch. Die Jungen hatten sich in die Nestmulde geduckt. In engen Spiralen kam der Einzelgänger herab auf das Nest zu. Als er auf dem Nestrand landen wollte, empfing ihn die Störchin mit kräftigen Schnabelhieben. Mit ein paar Flügelschlägen fegte sie den Angreifer vom Nest hinunter. Doch dieser griff erneut an. Da kam Vater Storch dem Weibchen zu Hilfe. Das Klappern der Störchin hatte ihn alarmiert. Beide zusammen schlugen den fremden Storch in die Flucht.

Wäre es ihm gelungen, das Nest zu erobern - die Jungstörche hätten nicht lange gelebt! Der Sieger hätte sie kurzerhand aus dem Nest geworfen.

Vögel

Anfang Juni brannte die Sonne kräftig. An solchen heißen Tagen spreizten die Storcheneltern die Flügel etwas und stellten sich mit dem Rücken gegen die Sonne. So spendeten sie den Jungen - oft vom Morgen bis zum späten Nachmittag - Schatten, während sie selbst vor Durst hechelten.

An einem drückend heißen Tag verschaffte auch der Körperschatten der Eltern den Jungstörchen kaum noch Erleichterung. Sie hechelten mit geöffneten Schnäbelchen. Auch die wasserreiche Nahrung, die von den Eltern aufs Nest gewürgt wurde, reichte nicht aus, um den Durst zu stillen. Da flog der Altstorch hinüber zum Flüsschen. Er trank, bis sein Schlund gefüllt war. Nach wenigen Minuten kam er zurück. Gierig streckten ihm die Jungen die weit aufgesperrten Schnäbelchen entgegen. Der Storch ließ nun das Wasser aus dem Schnabel rinnen - in zwei dünnen Strahlen direkt in die Schnäbel der Jungstörche! Den Rest des Wassers ließ er den Jungen über die Hälse und in die Nestmulde laufen. Die verdunstende Flüssigkeit verschaffte den jungen Vögeln zusätzlich Kühlung.

Nebenbei: Auch mir war in diesen Tagen heiß. In meinem Kirchturm war es so eng, dass ich abwechslungsweise immer nur auf einem Bein stehen und durch das Schalloch hinüber zum Nest schauen konnte. Nach Möglichkeit wollte ich jede wichtige Phase der Entwicklung der vier Storchenkindcr und auch das Pflegeverhalten der Storcheneltern festhalten. Deshalb nahm ich mir kaum Zeit für einen Becher Kaffee aus der Thermosflasche - aus Angst, eine interessante Aufnahme zu versäumen. Ab und zu besuchte mich die Dorfjugend in meiner zugigen Behausung und unterstützte mich bei der Beobachtung der Störche im Anflug und auf den Wiesen. Später, als ich meinen Standort auf die schräge Friedhofmauer übergewechselt hatte und in der prallen Hitze auf der Steinmauer schmachtete, versorgten sie mich mit Trinkbarem.

Als die Bauern die ersten Heuwagen einfuhren, begannen die vier Jungstörche mit den Flugversuchen. Sie waren jetzt schon fast so groß wie ihre Eltern und blieben vom frühen Morgen bis zum Abend allein im Nest. Die Altstörche hatten Mühe, die vier satt zu bekommen. Den ganzen Tag suchten sie am Flüsschen oder auf den abgemähten Wiesen nach Nahrung. Mit lautem Zischen und Klappern wurden sie von den flügelschlagenden Jungstörchen empfangen. Kaum hatten sie den Nahrungsklumpen ausgewürgt, flogen sie auch schon wieder ab.

Einmal dauerte das Auswürgen ungewöhnlich lange. Vergebens mühte sich der Altstorch ab, den Schlund zu entleeren. Er würgte und würgte. Die ungeduldigen Jungstörche gebärdeten sich immer unverschämter. Endlich, nach vielen Minuten, rutschte der Klumpen ins Nest: Er bestand aus annähernd zweihundert grasgrünen Heuschrecken, die sich im Schlund des Altstorches gesperrt hatten!