Vergessene Nüsse werden Bäume

Vögel

Im Hochgebirge verfährt der Tannenhäher ebenso. Nur gibt es dort keine Haselnüsse, sondern Zirbelnüßchen. Die Zirbelkiefer beherbergt nämlich in ihren Zapfen keine geflügelten Samen, sondern kleine, schmackhafte, von einer harten Schale umgebene Nüsse.

Diese erntet der Tannenhäher im September. Er schlägt mit kräftigen Schnabelhieben einen ganzen Zapfen los, fliegt mit ihm schräg abwärts und sucht eine ebene Stelle; vielfach ist dies ein alter Baumstumpf. Dort wird Schuppe um Schuppe geöffnet; jedes Nüßchen verschwindet blitzschnell im Kehlsack. Zwanzig bis neunzig Stück - so viele ein Zapfen gerade enthält - werden im Kehlsack gesammelt und wegtransportiert.

Im Hochgebirge kann man besonders gut beobachten, wie weit ein Tannenhäher mit gefülltem Kehlsack fliegt; im Engadin hat man Entfernungen bis zu zwölf Kilometer gemessen. Die Tannenhäher der ganzen Umgebung kommen in September in den Zirbelwäldern zusammen. Die Zirbelnüßchen muß der Tannenhäher, wenn er sie aus der Vorratskammer holt, nicht mühsam aufhämmern, wie er es mit den Haselnüssen macht. Er kann sie regelrecht aufknacken. Im Unterschnabel hat er dafür eine harte, flache Leiste, auf die er die Nüßchen legt. Man hört, wie es geknackt wird. Dann lässt der Vogel die Nuß fallen, die Schalenhälften klaffen auseinander, und der Inhalt wird verschluckt oder im Kehlsack zum Nest mit den Jungen getragen.

Man kann sich leicht vorstellen, welche Unmenge von Nüßchen nötig ist, damit nicht nur die Häher den Winter überleben, sondern auch die Jungen groß werden.

Natürlich kommt es vor, dass nicht alle Verstecke aufgesucht oder gefunden werden - bei den Zirbelnüßchen wie bei den Haselnüssen. Diese keimen dann im Frühjahr und sorgen so dafür, dass Haselbüsche und Zirbelkiefern auch dort aufwachsen können, wo es diese Pflanzenarten vorher nicht gab. Zweifellos haben die Haselbüsche bei uns und die Zirbelkiefern im Hochgebirge ihre Ausbreitung vor allem den Tannenhähern zu verdanken. Man weiß aus Pollenuntersuchungen, dass unter den ersten Laubhölzern, die sich nach der letzten Eiszeit ausbreiteten, die Hasel war. Der Tannenhäher war daran bestimmt nicht schuldlos.

Tannenhäher