Wer nicht artig ist, stirbt jung

Übrigens wirken die Befehle an die Jungtiere nur dann in der richtigen Weise, wenn die Eier vom Führungstier selbst abgelegt wurden und in der Zwischenzeit alle biologischen Vorgänge des Heranwachsens normal verlaufen sind.

Roter Cichlide (Hemichromis bimaculatus)
Ein Roter Cichlide (Hemichromis bimaculatus) mit Jungen
Fische

Ein Weibchen ohne Kinder kann einem anderen die Jungen nicht einfach abspenstig machen, indem es die richtigen Zeichen gibt. Aber wenn es selbst Junge hat, kann es sehr wohl den Nachwuchs eines anderen Weibchens zu sich herlocken - wenngleich auch das schwierig ist. Offenbar gibt es feine individuelle Muster (vielleicht auch Geruchs- oder Geschmacksignale), die Jungtieren sagen, dass sie bei der falschen Mutter gelandet sind.

Bei Haplochromis philander dispersus, einem Maulbrüter aus Botswana, beobachtete ich. dass ein stärkeres Weibchen den schwächeren die Jungen abspenstig machte und sie zusammen mit seinem eigenen Nachwuchs ins Maul nahm. Nach einem halben Tag hatten die anderen Weibchen den Brutpflegetrieb verloren und jagten nun ihren eigenen Kindern nach, um sie zu fressen.

Die Brutpflege der Buntbarsche gehört zu den höchstentwickelten Bräuchen im Reich der Fische: im Laufe der Stammesgeschichte haben sich dabei drei Hauptformen herausgebildet. Da ist erstens die Eiablage an offenliegenden Brutplätzen (Steine, Pflanzen oder Gruben), wobei Vater oder Mutter oder beide Eltern die Pflege der Eier und die Führung der Jungen übernehmen. Zweitens gibt es die Höhlenbrüter. Die Eier werden in einer Höhle, die manchmal selbst ausgegraben wird, abgelegt und meist von beiden Eltern bewacht. Auch hier werden die Jungen von den Eltern noch längere Zeit betreut und verteidigt.

Und drittens sind da die Maulbrüter. Bei ihnen übernimmt entweder der Vater oder die Mutter das Ausbrüten der Eier: Sie werden nach dem Ablaichen ins Maul genommen und entwickeln sich dort. Auch die geschlüpften Jungen kehren noch lange Zeit ins elterliche Maul zurück - wenn ein Feind kommt oder wenn Schlafenszeit ist.

Die Offenbrüter legen die meisten Eier, denn da ist die Gefahr des Verlustes am stärksten. Höhlenbrüter haben meist nicht so viel Laich, Und Maulbrüter, die am besten für die Sicherheit ihrer Jungen sorgen können, brauchen die wenigsten Eier. Immerhin kann der Nachwuchs bei ihnen so zahlreich sein, dass das Maul von Vater und Mutter beinahe überquillt und es Schwierigkeiten gibt, die quicklebendige Schar zusammenzuhalten.

Wer einmal gesehen hat. wie sich auf eine kleine Flossenbewegung des Erziehers ein lockerer Schwärm von Jungen zu einem dichten Zug formiert und in das elterliche Maul schwimmt, der wundert sich, wie sich die Unzahl der Jungen dort überhaupt einordnen kann, ohne erdrückt zu werden oder zu ersticken. Solch ein Zusammenspiel kann nur durch striktes Einhalten der Befehle funktionieren.

Wenn die Jungen heranwachsen, brechen immer mehr aus dieser autoritär regierten Familie aus - und fallen prompt den allzeit bereiten Feinden zum Opfer. So bleiben am sichersten diejenigen am Leben, die dem strengen Instinktschema der elterlichen Befehle folgen - ein schönes Beispiel für den Lohn, der artige Kinder erwartet.