Giftiger Wein im Steinbock-Horn

Vornehme Herren ließen sich verdächtigen Wein stets in einem Becher aus Steinbockhorn kredenzen - im Vertrauen darauf, dass sich der Becher bei Giftbeigaben verfärben würde. Als Liebesmittel galt das Fersengelenk des Tieres. Die sogenannten Bezoarkugeln (Kugeln aus Haaren, die das Tier beim Belecken des Fells verschluckte und die sich im Magen zusammenballten) wurden in den Apotheken des Mittelalters für teures Geld gehandelt; man versprach sich von ihnen Linderung von Ruhr, Gelbsucht, Schwindel, Ohnmacht und Melancholie. Auch die "Herzkreuzchen", Verknöcherungen der Aorta, galten als Glücksamulette. Nicht einmal die Steinbock-Losung war wertlos: Man brachte sie als Mittel gegen Gelenkentzündung und Ischias auf den Markt.

Ein weiterer Grund für das Zurückgehen der Steinbockbestände in den Alpen ist die nur teilweise Anpassung dieses Tiers an das Leben im Hochgebirge. Es sucht Fels und Geröll und meidet Eis und tiefen Schnee. Damit sind die Steinwildkolonien an solche Einstände gebunden, die steil, felsig und besonnt sind. Diese Biotope gibt es aber keineswegs überall in den Alpen. Deshalb war die Verbreitung der Capra ibex in den Alpen nicht zusammenhängend, sondern inselartig, was immer eine Gefahr bedeutet. Auch die starke Vergletscherung der Alpen im 16. Jahrhundert hat eine größere Ausdehnung des Steinwildbestandes verhindert. Schließlich haben - nach Ansicht von Fachleuten auch die eigenen Verwandten dem Steinbock zugesetzt. Diese Verwandten sind die Hausziegen, die früher in großen Herden, zusammen mit Schafen, aus Italien kamen, um in den Alpen zu übersommern. Die Haustierherden nahmen alle guten Weiden in Beschlag und zwangen das Steinwild, in gefährliche Lagen auszuweichen. (Auch Bastardierungen kamen nun vor, weil sich der Steinbock mit der Hausziege zu fruchtbaren Nachkommen kreuzen kann.)