Stress im Watt

Raubtiere

Fuchs und Has´, Reh, Hirsch und Dachs sind heimische Wildtiere. Jeder kennt sie. Auch der, der niemals in den Wald geht. Sie gehören in unsere mitteleuropäische Welt; sie haben einen festen Platz in Geschichten, in wahren und erlogenen. Kurz und gut: sie sind gewöhnlich. Andere Tiere indes, nicht minder heimisch in unseren Breiten, haben einen Hauch von Außergewöhnlichem, und keiner weiß so recht, warum. Sie sind Fremdlinge, etliche sogar noch mehr: fast Exoten. Der Seehund, zum Beispiel.

Seehund

Der Seehund kommt -"wild"! - im Urlaub an der Nordsee vor. Die Kurdirektoren der Seebäder spannen ihn in ihre Werbung ein: "Den Badegästen bietet sich Gelegenheit, mit einem Ausflugsschiff zu den vorgelagerten Seehundsbänken zu fahren. Während der Ebbe liegen die Seehunde in Rudeln auf den Sandbänken, um sich zu sonnen" (Ankündigung auf Amrum). Da liegen sie dann tatsächlich und sind nach landläufiger Meinung "süß" oder "traurig" (weil jeder an die "Heuler" denken muß); sie sind tragikumwittert, weil jeder Fotos und Filme von Robbenschlägern auf dem kanadischen Eis gesehen hat. Das Verhältnis der meisten Menschen zum Seehund ist in hohem Grade sentimental.

Der Seehund lebt in der komplizierten, verfilzten Verwandtschaft einer Robbenfamilie aus 13 Gattungen mit 18 Arten weltweit. Er hat Verwandte im Baikalsee (ohne Zugang zum Meer), in der Arktis. in der Antarktis und in den Tropen. Aber in den Watten der Nordsee lebt er, gelegentliche Besucher und Irrläufer nicht gerechnet, allein: Phoca vitulina, der (gemeine) Seehund. Er wird von der Schnauzenspitze bis zum Ende der längsten Hinterfußzehe 145 bis 195 Zentimeter lang und bis zu 250 Kilo schwer, ist von grauweißer bis graugelber Farbe, stark gefleckt, aber ohne Netzmuster; er hat weiße Schnurrhaare. Er kann verwechselt werden mit der größeren Kegelrobbe und der etwas kleineren Ringelrobbe, denn die sind die häufigsten Besucher in seinem Revier. Die Sattelrobbe dagegen (deren Junge, die "Whitecoats", es sind, die vor Kanada erschlagen werden) ist nur ein seltener Irrgast, ebenso die Mönchsrobbe (die man noch eher an der kroatischen Adriaküste zu sehen kriegt). Phoca vitulina ist der einzige heimische Seehund. Er allein setzt bei uns seine Jungen und zieht sie auch hier auf. Die andern kommen bloß mal vorbei - und fressen ihm den Butt weg.

Davon gibt es an der deutschen Nordseeküste ohnehin von Jahr zu Jahr weniger, schon viel zuwenig, sagen die Fischer. Und weil die Seehunde vorzugsweise die Plattfische fressen (fünf bis sieben Kilo pro Tag) und die Fischer damit Schuldige für ihre leeren Netze haben, ist der Rückgang der Seehundbestände kein Thema für den Fischer und sin Fru. Soll'n se doch ...