Das Paradies der Katzen

Autor: Emile Zola

Eine Tante hat mir eine Angorakatze hinterlassen, die so ziemlich das dümmste Biest ist, das ich kenne.

Tiergeschichten

Diese Katze erzählte mir eines Winterabends vor dem verglimmenden Kaminfeuer die folgende Geschichte:

Ich war damals zwei Jahre alt und die fetteste und naivste Katze, die man sich denken konnte. In diesem zarten Alter besaß ich noch ganz den Eigendünkel eines Tieres, das die Annehmlichkeiten des häuslichen Herdes verachtet. Und wieviel Dank schuldete ich doch der Vorsehung, die mich zu Eurer Tante gebracht hatte! Die gute Frau vergötterte mich. In der Tiefe eines Schrankes besaß ich ein wahrhaftiges Schlafzimmer mit Federkissen und dreifacher Decke. Die Kost war dem Lager ebenbürtig. Nie Brot, nie Suppe. Immer nur Fleisch; gutes, blutiges Fleisch!

Nun denn - inmitten all dieser Freuden und Genüsse fühlte ich nur einen Wunsch, hatte ich nur einen Traum: mich durchs geöffnete Fenster hinauszuschleichen und auf die Dächer zu flüchten. Die Liebkosungen schienen mir fade, die Weichheit meines Bettes erregte mir Ekel. Ich war fett, daß mir's vor mir selber graute. Den ganzen Tag langweilte ich mich in meinem Glück.

Ich muß erwähnen, daß ich vom Fenster aus, wenn ich den Hals nur ein wenig reckte, das Dach gegenüber erblickte. Dort wälzten sich an jenem Tage vier Katzen mit gesträubtem Fell und hochaufgerichtetem Schwanz wild schreiend im Sonnenglanz auf den blauen Schiefern. Ein so wunderliches Schauspiel hatte ich noch nie gesehen.

Seit jenem Tage stand für mich fest: Das wahre Glück war nur auf diesem Dache zu finden, hinter diesem Fenster, das man so sorgsam schloß. So, wußte ich, schloß man auch die Türen der Schränke, in denen man das Fleisch verwahrte. Ich beschloß zu entfliehen. Es mußte im Leben noch anderes geben als blutiges Fleisch. Dort winkte das Unbekannte, das Ideal! Eines Tages vergaß man, das Küchenfenster zu schließen. Ich sprang auf ein kleines Dach, das sich unterhalb des Küchenfensters befand. Wie waren die Dächer so schön! Breite Dachrinnen begrenzten sie und strömten köstliche Düfte aus. Mit unsagbarer Wollust verfolgte ich diese Rinnen, während meine Pfoten in einem feinen, unendlich weichen, mollig warmen Kot versanken. Mir war's, als wandle ich auf Samt. Und die Sonne schien so warm, ihre heißen Strahlen schmolzen mein Fett.

Ich darf euch nicht verhehlen, daß ich an allen Gliedern zitterte. Meine Freude war mit Furcht und Beklemmung gemischt. Besonders deutlich entsinne ich mich einer entsetzlichen Erregung, die mich beinah aufs Pflaster geworfen hätte. Drei vom Giebel eines Hauses herabkollernde Katzen kamen mit furchtbarem Miauen auf mich zu. Als sie mein Erschrecken sahen, lachten sie mich aus und sagten, sie hätten nur im Spaß miaut. Ich begann mitzumiauen. Es war allerliebst. Die Kerle besaßen nicht meine fette Dummheit. Sie machten sich über mich lustig, als ich wie eine Kugel auf den von der Sonne durchglühten Zinkplatten umherrollte.

Ein alter Kater aus der Gesellschaft fühlte sich besonders zu mir hingezogen. Er machte sich erbötig, meine Erziehung zu übernehmen, ein Anerbieten, das ich mit Dank annahrn.

Ach! Wie weit lag das mollige Heim Eurer Tante hinter mir. Ich trank aus der Dachrinne, und keine gezuckerte Milch hatte mir je so süß geschmeckt. Alles erschien mir gut und schön.

Nach einstündigem Spaziergang spürte ich einen Riesenhunger.

"Was speist man denn auf den Dächern?" fragte ich meinen Freund, den Kater.

"Was man findet", belehrte mich dieser.