Gebraten und verspeist

Diese Antwort brachte mich in Verlegenheit, denn so eifrig ich auch suchte ich fand nichts. Endlich entdeckte ich in einer Mansarde eine junge Arbeiterin, die ihr Essen bereitete. Auf dem Tisch vor dem Fenster lag ein schönes Kotelett von appetitlichstem Rosa.

Das ist mein Fall, dachte ich in aller Unschuld. Und ich sprang auf den Tisch und ergriff das Kotelett.

Die Arbeiterin aber versetzte mir, sobald sie mich erblickte, mit dem Kehrbesen einen furchtbaren Schlag auf das Fell. Ich ließ das Fleisch fahren und suchte mit einem entsetzlichen Fluch das Weite.

"Was denkst du nur?" schalt mich der Kater. "Das Fleisch auf den Tischen ist doch nur dazu da, von ferne angeschmachtet zu werden! Du mußt in den Dachrinnen suchen."

Daß das Fleisch in den Küchen nicht den Katzen gehören sollte, war eine Wahrheit, die mir unbegreiflich blieb. Mein Magen begann sich ernstlich zu empören. Der Kater brachte mich mit der Versicherung, daß man die Nacht abwarten müsse, vollends zur Verzweiflung. in der Nacht würden wir in die Straßen hinabsteigen, die Kehrichthaufen durchwühlen. Die Nacht abwarten - wie ruhig er das sagte, mir welch verhärteter Philosophie!

Ich fühlte mich einer Ohnmacht nahe bei dem bloßen Gedanken an dieses endlose Fasten.

Langsam kam die Nacht heran, eine Nebelnacht, die mir die Glieder erstarren machte. Bald fing der Regen zu fallen an; ein feiner, durchdringender, von heftigen Windstößen gepeitschter Regen. Durch die verglaste Öffnung einer Treppe stiegen wir von unseren Dächern herab.

Wie häßlich mir die Straße erschien! Das waren nicht mehr die wohlige Wärme, der helle Sonnenschein, das waren nicht mehr diese glänzenden, lichtübergossenen Dächer, auf denen sich's köstlich faulenzen ließ. Meine Pfoten glitten auf dem feuchten Pflaster aus. Mit bitterer Wut gedachte ich meiner dreifachen Decke und meines Federkissens. Kaum waren wir auf der Straße angelangt, als mein Freund, der Kater, zu zittern begann. Er machte sich klein, ganz klein und schlich verstohlen die Häuser entlang, indem er mir befahl, ihm so schnell wie möglich zu folgen. In das erste Haustor, das er fand, flüchtete er sich eilig und ließ ein zufriedenes Brummen hören. Als ich ihn über diese Flucht befragte, antwortete er mir:

"Hast du jenen Mann mit der Butte und dem Haken gesehen?"

"Ja."

"Nun, wenn er uns erblickt hätte, er hätte uns gepackt, am Spieß gebraten und verspeist."

"Am Spieß gebraten und verspeist!" rief ich. "Aber gehört denn die Straße nicht uns?"

Man ißt nicht und wird gegessen!

Tiergeschichten