Metch-Kangmi

Autor: Karl Maute

Ich bin in jenem Land gewesen. Ich habe jene Berge gesehen. Ich habe mit jenen Menschen gesprochen. Und sie haben mir Geschichten erzählt ...

Tiergeschichten

"Von einer Kreatur mit kräftigem, affenartigem Körperbau. Einsfünfundsechzig bis einsachtzig groß. Mit kurzhaarigem, struppigem Fell, rötlichbraun bis schwarz, manchmal mit weißen Flecken auf der Brust. Um die Schultern ist das Fell am längsten. Das Gesicht ist unbehaart, ziemlich flach. Die kräftigen Kinnladen tragen große Zähne. Das Maul ist breit, der Kopf läuft oben spitz zu. Die langen Arme reichen fast bis zu den Knien. Die Schulterpartie ist plump und bucklig. Ein Schwanz fehlt."

Der Metch-Kangmi. Oder: der Yeti.

"Ein aufrecht gehendes Wesen. In seiner Gestalt an Menschen erinnernd. Unbekleidet. Wuchtig. Abstehende Ohren. Es ist neugierig und scheu zugleich. Es trägt (als Werkzeug? als Waffe?) immer einen Stock."

Also eine noch unbekannte Primatenart? Oder ein Affenmensch, von der Evolution vernachlässigt, vor der Zivilisation in die Höhen des Himalaja geflüchtet? Und dann: Restbestände, sozusagen, vom einen oder vom andern?

Oder auch: Fabelwesen? Legendenfigur? Hirngespinst? Spuk? Kurz und gut: ein Phantom, vielleicht aus Angst erdacht, aus Sensationslust erfunden?

Die Menschen haben sich zu allen Zeiten Bestien gemacht, die es nicht gab. Sie haben ihnen Menschengestalt oder wenigstens Menschenzüge verliehen, haben sie dämonisiert und in den finsteren Wald oder in die hohen Berge geschickt; haben sie geheißen, in Höhlen zu hausen. Und dann bekamen sie Angst vor ihnen.

In den vereinsamten Nepal-Dörfern am Himalaja wird der Yeti nicht in Frage gestellt. Er lebt dort. Und jedes Dorf hat eine Handvoll Einwohner, die ihn gesehen haben, obgleich es nicht gut ist, einen Yeti zu sehen, denn eigentlich muß danach jeder sterben. Aber die, die da hocken und Geschichten erzählen, haben dem Fluch widerstanden. Aberglaube ist nicht konsequent.

Sie haben in den Dörfern da und dort auch einen Yeti-Skalp, Reliquien beinahe, deren Echtheit keiner untersucht. Denn das einfache und mithin kindliche Bewußtsein dieser naiven, ehrlichen Menschen ist einem traumhaften Zustand viel näher als das eines modernen Europäers. Darum ist eine Erscheinung wie der Yeti für sie ein Wesen, übermenschlich und halbgöttlich, das leibhaftig existiert. Vor dem sie sich fürchten, über das sie reden.

Dieses Gerede brachte 1832 ein Engländer, B. H. Hodgson, als erster nach Europa. Vor fast 200 Jahren war's gar keine Sensation. Damals hätte man ihm noch ganz andere Dinge geglaubt.