Die ersten Flugversuche

In den Pausen zwischen den Fütterungen probierten die Jungen die Tragkraft ihrer Schwingen aus. Heftig schlugen sie mit den Flügeln. Und siehe da - drei, vier Flügelschläge lang konnten sie sich über dem Nest in der Luft halten!

Jungstörche
Die Bilder auf diesen Seiten gehören direkt zu unserer Geschichte. Solche Fotos sind der Lohn, wenn man erstens ein seltenes Objekt entdeckt - eine Storchenfamilie -, zweitens einen guten Aufnahmestandpunkt findet - einen Kirchturm oder eine Kirchhofsmauer -, drittens drei Monate Geduld hat und viertens fotografieren kann.
Vögel

Von Tag zu Tag wurden die Sprünge höher. Der Älteste brachte es bald schon auf zwei Meter Höhe. Und eines Morgens Ende Juli war es soweit: Einer der Jungstörche stellte sich an den Nestrand und - stieß sich ab! Verkrampft und unsicher, mit hastigen Flügelschlägen, flog er über die Dächer. Nach einigen Runden landete er auf dem Giebel einer Scheune.

In den nächsten Tagen wagten zwei weitere Geschwister den ersten Ausflug. Zur Fütterung kamen sie jedoch immer noch ins Nest zurück. Auch die Nächte verbrachten sie gemeinsam mit einem der Eltern in ihrer Kinderstube. Der andere Elternteil schlief derweilen auf dem Giebel des Bauernhauses nebenan, ein Bein angezogen und den Schnabel im Gefieder versteckt.

Immer ausgedehnter wurden die Flüge der Jungstörche, immer höher ließen sie sich vom Aufwind tragen. Inzwischen war auch der Nestkegel flügge geworden. Zusammen mit den Eltern stelzten die vier Jungen durchs Gras.

Nachdem die jungen Störche flügge waren, verfolgte ich sie mit der langbrennweitigen Tele-Kamera auch draußen auf den Wiesen. Aber die Jungen waren scheuer als die Altstörche. Näher als hundert Meter kam ich nie. Schon wollte ich die Flinte ins Korn werfen. Da machte ich eine Entdeckung: Vor Traktoren schienen die Jungstörche keine Angst zu haben - sofern der Bauer auf seinem Sitz blieb. Also fuhr ich kurzerhand mit meinem Auto mitten unter sie, als sie auf einer sumpfigen Wiese Nahrung suchten. Tatsächlich - die Störche blieben! Durch das geöffnete Seitenfenster gelangen mir zahlreiche Aufnahmen, oft auf eine Entfernung von nur 15 Meter. (Nachher musste ich allerdings feststellen, dass die Wagenräder bis zu den Achsen im sumpfigen Wiesenboden eingesunken waren.)

Ende August kehrten die jungen Störche eines Abends nicht mehr ins Nest zurück. Sie hatten ihren weiten Flug ins Winterquartier angetreten. Einige Tage später folgten ihnen die Altstörche. Und ich hätte eigentlich froh sein können: Drei Monate strapazierender Beobachtungen waren vorüber, mehr als 2000 Aufnahmen hatte ich im Schrank. Ich gebe aber ehrlich zu, dass mich der Anblick des leeren Nestes am Tag nach dem Abflug traurig und wehmütig stimmte.

Futterstelle der Weißstörche
Warum gibt es bei uns immer weniger Störche? Die Nahrung fehlt. Tümpel und Gräben, in denen Frösche und Kröten, Unken und andere Lurche hausten, verschwinden planmäßig aus unserer durchrationalisierten Landschaft. Sie werden zugeschüttet oder als Müllkippen verwendet. Sumpfige Wiesen (oben die Futterstelle der Weißstörche in unserem Bericht) sind landwirtschaftlich unergiebig und werden trockengelegt. So vertreiben wir systematisch die Störche.