Das Fest der Fährleute

Bis zum Jahr 1958 feierte man in Birecik zur Ankunft der heiligen Vögel ein Fest. Es waren die Fährleute, die dazu aufriefen, denn sie - die mit ihren typischen Euphrat-Booten Kamele und Schafe, Handelsware und Menschen über den breiten Fluß setzten - sahen die Waldrappe zuerst.

Sie schlachteten dann ein Schaf und schenkten das Fleisch den Armen. Das war der Auftakt zu dem Festtag, an dem sich die gesamte Bevölkerung der Stadt beteiligte.

1959 wurde die Brücke über den Euphrat fertiggestellt. Die Fährleute verloren ihre Aufgabe, das Waldrappfest wurde vergessen.

Genau zur gleichen Zeit setzte - was weitaus schlimmere Folgen hatte - das türkische Gesundheitsministerium in einem Großeinsatz DDT und andere chemische Gifte in mehreren von der Malaria verseuchten Gebieten ein. Die Euphrat-Niederung und die umliegenden Sümpfe wurden intensiv behandelt. In der Folge fand man dort Hunderte von toten Waldrappen. Nun ist klar, warum sich die Brutkolonie so verkleinerte: Die Waldrappe von Birecik waren Opfer der Anti-Malaria-Aktion geworden, und die Bevölkerung war dabei, nach und nach die Beziehung zu ihren heiligen Vögeln zu verlieren. 1972 wurden nur noch sieben oder acht junge Waldrappe flügge. Zu wenige, um die Art zu erhalten.

Der Waldrapp steht im Red Data Book, der roten Liste der gefährdeten Tierarten. Darum finanzierte der "World Wildlife Fund", internationale Feuerwehr für gefährdete Tierarten und Lebensräume, nun ein Waldrapp-Schutzprojekt in Birecik, um den Vogel dort vielleicht zu erhalten. Anfang Januar 1973 kam ich zum zweitenmal in die Stadt, um dieses Projekt durchzuführen.

Als erstes suchte ich Arbeiter für die Verbreiterung des Brutsimses, aber vielen war die Arbeit zu gefährlich. Eines Abends brachte mir ein Mann eine Messingschale voll Holzkohle zum Aufwärmen. Es war Abit, ein Steinmetz. "Ich kenne den Fels", sagte er, "ich habe schon als kleiner Junge mein Ohr an den Stein gehalten. Wir unterhalten uns immer - der Fels und ich. Ich habe den Straßentunnel ausgeschlagen und ganze Wohnungen aus diesem Felsen gehauen..."