Wellensittiche wollen ständig beschäftigt werden

Einige Brutschmarotzer (die ihre Eier von anderen Vogelarten ausbrüten lassen) lernen Laute und Gesänge ihrer Wirtsvögel als "Fremdsprache", ohne darüber ihre eigenen Lautäußerungen zu vergessen. Die tropischen Witwenvögel (Viduinae) gehören - wie wir durch die Untersuchungen des Ornithologen Jürgen Nicolai wissen - zu diesen Nachahmern.

Wellensittich
Vögel

Ähnlich ist es wohl mit den Wellensittichen. Sie wollen ständig beschäftigt werden. Deshalb füllt man ihren Käfig mit Glöckchen, Spiegeln, Puppen und dergleichen. Vielleicht lassen sie bloß aus purer Langeweile ihrem Nachahmungstrieb die Zügel schießen. Sie plappern ja nicht nur menschliche Wörter nach. Autohupen, eine quietschende Tür, das läutende Telefon wecken genauso ihren Nachahmungsdrang. Es macht einem Wellensittich auch nichts aus, alle Klänge zu vermischen - das Türquietschen, einen gelernten Satz, ein imitiertes Hundegebell. Manche Wissenschaftler haben deshalb alle Diskussionen über die Sprechfähigkeiten von Vögeln schon damit abgetan, es handle sich um unnützes, nachgeplappertes "dummes Geschwätz", das ernsthafte Forschung nicht lohnt.

Das ist ungerecht. Die geistige Leistung muss man auch bei Nachgeplappertem anerkennen. Manche Vögel beherrschen einen Wortschatz von mehreren hundert Ausdrücken, und dazu gehört eine Lern- und Merkfähigkeit, die für ein solch kleines Gehirn erstaunlich ist, zumal es sich um Äußerungen handelt, die dem Vogel an sich nicht eigentümlich sind. Keinem von ihnen ist in die Wiege gelegt, dass er eines Tages "Hansi ist brav!" auszurufen hat.

Aber die Vögel sprechen ja gar nicht wirklich, wird gesagt. Sie wissen ja nicht, was sie reden!

Das ist im allgemeinen sicher richtig. Aber man hat Papageien-Vögel auch schon dazu erzogen, Dinge bei ihrem richtigen Namen zu nennen - und damit stößt man in weitere intelligente Bereiche vor. Der Freiburger Verhaltensforscher Professor Otto Koehler erzählte: "Mein Grauer sagte mit der Bassstimme seines früheren Besitzers 'Hallo!', jedoch fast nur. wenn jemand den Telefonhörer abhob, und 'Nu auf Wiedersehen!' nur, wenn jemand das Zimmer verließ. So hatte sich mein Vorgänger am Telefon gemeldet und von seinen Besuchern verabschiedet. Viele Papageien sagen ihr 'Guten Morgen' und 'Guten Abend' nach der Tageszeit, merken sich Namen und äußern sie beim Anblick der betreffenden Person".

Der Verhaltensforscher Professor Konrad Lorenz berichtete: "Der bekannte Berliner Ornithologe Oberst von Lucanus besaß einen Graupapagei, der durch seine Gedächtnisleistung berühmt geworden war. Lucanus hielt neben anderen Vögeln auch einen zahmen Wiedehopf namens Höpfchen. Der Papagei, der gut sprechen konnte, hatte sich bald dieses Wort angeeignet. Wiedehopfe leben leider in Gefangenschaft nicht lange, wohl aber Graupapageien. Höpfchen ging also nach einiger Zeit den Weg alles Irdischen, und der Papagei schien seinen Namen vergessen zu haben; jedenfalls hatte er ihn niemals mehr gesagt. Nach sage und schreibe neun Jahren bekam Oberst von Lucanus einen neuen Wiedehopf, und als der Papagei ihn zum ersten Male erblickte, sagte er sofort und dann wiederholt: "Höpfchen! Höpfchen!"

Alle Papageienvögel können bestimmte Gegenstände. Personen oder Situationen mit den jeweils zugehörigen Worten verbinden. Dies ist zweifellos ein intelligenter Vorgang. "Dieses Binden des Wortes an eine bestimmte Situation gibt kleinen Menschenkindern beim Sprechenlernen den Wortsinn", sagt Professor Kochler. "Das Kind kennt seine Mutter, sein Spielzeug, aber auch beliebte Speisen längst 'unbenannt', das heißt ohne die Bindung an Wörter. Es hört die Namen immer dann, wenn die Sache erscheint, verknüpft den Wortklang mit dem unbenannten Erinnerungsbild und benennt es so.

Unbenanntes Denken höherer Tiere ist unserem vorsprachlichen Denken in vielem ohne weiteres vergleichbar; ohne diese Fähigkeit hätten wir nie zu sprechen begonnen. Wir verdanken die Vorstufe des unbenannten Denkens unseren tierlichen Ahnen, die noch nicht sprachen."

Dadurch, dass die Wellensittiche und andere Papageienvögel imstande sind, Erinnerungsbilder und Wörter geistig zu verknüpfen und in uns verständlicher Sprache zu benennen, werden sie zu interessanten Forschungsobjekten. Dabei sind sie aber vermutlich nicht intelligenter als eine Katze; sie haben ihr nur das Sprechorgan voraus, das uns erlaubt, diesen geistigen Vorgängen nachzuspüren.

Die Menschen, die einem Wellensittich oder einem anderen Papagei jede geistige Fähigkeit absprechen wollen, haben möglicherweise nur Angst davor, dass man auch einem Tier ein wenig von dem zugestehen könnte, was sie selbst in so hohem Maße besitzen: Intelligenz.