Pfahlstellung als Schutzhaltung?

Wir müssen uns aber jetzt noch einmal mit der berühmten Pfahlstellung der Dommeln befassen, weil jedermann, der nur einigermaßen eine Ahnung davon hat, die Pfahlstellung als bloße Schutzhaltung erklärt, ohne weiter nachzudenken.

Zwergdommel
Das Bild oben zeigt die berühmte "Pfahlstellung" der Zwergdommeln. So verhalten sie sich, wenn sie beunruhigt werden. Hals und Schnabel werden, parallel zu den Schilfrohren, senkrecht nach oben gereckt - teils zur Tarnung im Schilf, teils, um besser beobachten zu können.
Zwergdommel

Wir rekapitulieren: Nähert man sich einer Zwergdommel (Ixobrychus minutus) oder einer großen Rohrdommel (Botnurus stellaris) in ihrem gewohnten Lebensraum, dem Schilfwald, langsam auf wenige Meter, so nehmen beide Dommelarten die charakteristische Pfahlstellung ein. Alle Reiher, auch die großen Arten, tun dies ein bisschen: Sie strecken den Hals, machen sich lang und verschaffen sich damit einen besseren Überblick über die Gefahrenlage. Das ist bei der Ausbildung dieses Instinkts wohl das Entscheidende gewesen: Es ging darum, besser zusehen. Bei der Zwergdommel liegt die Sache aber so, dass sie erst dann mit beiden Augen binokular (wie etwa die Eulen) sehen kann, wenn sie den Schnabel hochstellt und dem Augenpaar an der Schnabelwurzel freies Sehfeld verschafft. Das zweiäugige Sehen nach vorn ist wichtig; nur so wird ein genaueres Entfernungschätzen möglich. Die Folgerung (die heute von vielen Ornithologen vertreten wird) ist erlaubt, dass die Pfahlstellung der Dommeln nur eine extreme Weiterentwicklung des reihereigentümlichen Hochreckens zu besserem Sehen ist. Nicht die bloße Tarn-und Schutzstellung ist es, die sich hier in das Verhaltensinventar dieses Vogels eingenistet hat, sondern primär das Bedürfnis, sich durch Strecken des Halses und Hochrecken des Schnabels ein besseres Sehfeld zu verschaffen. Dies diente in erster Linie, wie man so sagt, der "Erhaltung der Art". Dass diese Orientierungsweise noch andere Vorteile mit sich brachte - wie die geniale Tarnstellung des schilfstengelfarbenen Unterkörpers des Vogels -, dient als Zugabe.

Die Zwergdommel geht übrigens nicht nur auf den Fersen hockend oder hoch aufgerichtet in die Pfahlstellung, sondern versucht auch im Brüten oder im Hudern (beim Wärmen der Jungen), also liegend, in eine "halbe" Pfahlstellung zu gehen. Der Vogel reckt, ohne die vollkommene Schutzhaltung einzunehmen, nur den Hals sichernd in die Höhe. Auch dieses Verhalten spricht für die Pfahlstellung als Orientierungshilfe.

Interessant ist, dass der Vogel in seiner extremen Tarnhaltung fluchtbehindert ist. Hat er sich einmal entschlossen, nicht abzufliegen, sondern den Feind in Pfahlstellung zu beobachten und zu erwarten, tritt eine Art Bewegungshemmung ein. Der Vogel steht wie hypnotisiert oder verkrampft, und die Reizsituation, in der er jetzt steckt, erlaubt ihm nicht mehr, die Sache herunterzuspielen und mit schlichtem Ausweichen zu reagieren. Er muss stehenbleiben. Oft auch zu seinem Nachteil, denn schon viele Dommeln wurden, wenn sie die Pfahlstellung eingenommen hatten, von sogenannten Jägern und sogenannten Fischern mit Prügeln oder Ruderblättern schlicht erschlagen. In diesem Falle trug die gerühmte Schutzstellung keineswegs zur Erhaltung der Art bei.

Zum Schluss darf ich noch etwas mitteilen, das ich nicht selbst gesehen habe, das aber der bekannte Altmeister Günther Niethammer in seinem "Handbuch der Vögel Mitteleuropas" beiläufig anführt. Er sagt: "In bereits besetzte Reviere eingedrungene Zwergdommelmännchen werden von den bereits ansässigen Männern durch Nachlaufen im Schilf und Nachfliegen bis zur Reviergrenze vertrieben. Der Schnabel des erregten Verfolgers ist dabei starker gerötet und die Holle (die Kopffeder oder Federhaube des Vogels) leicht gesträubt."

Als Mensch denkt man da gleich an den Blutdruck. Wenn mich einer reizt, gehe ich auf 180 und bekomme einen roten Kopf. Wie funktioniert das aber mit dem Schnabel der Zwergdommel? Der Blutdruck ist es nicht - wohl aber eine hormonell gesteuerte stärkere Durchblutung. Der Effekt ist der gleiche.