Der Räuber im Löffel

Insekten

Will man den kleinen Löwen einmal zu Gesicht bekommen, dann nimmt man am besten einen großen Löffel und hebt damit den Sand am Grunde des Trichters aus - aber schon mehrere Zentimeter tief und mit einem plötzlichen Stoß, sonst ist der, den man sucht, rückwärts tiefer in dem Sand verschwunden.

Ameisenlöwe

Haben wir das verhindert, können wir in aller Ruhe den Sand von oben her forträumen: Der Ameisenlöwe rutscht bis in die tiefste Stelle des Löffels, dort kann er nicht weiter, und dann können wir ihn betrachten.

Einem kleinen Löwen sieht er wirklich nicht ähnlich, höchstens in der Farbe - er ist graugelblich. Seinen Namen hat er sicher erhalten, weil er ein Räuber ist, der ebenso wie sein großes Namensvorbild auch Tiere überwältigt, die wesentlich größer sind als er selbst. Nicht nur Ameisen stehen auf seiner Speisekarte - wenn sie auch den Hauptteil der Nahrung liefern -, alles "Wild", das in den Trichter gerät, erliegt den Zangen. Es sind furchtbare Waffen, wie wir jetzt sehen können. Er hat aber auch gar nichts von der eleganten, geschmeidigen Form eines Löwen; er ist reichlich plump und wirkt eher häßlich.

Ameisenlöwe

Ruhe gibt der kleine Kerl aber auch im Löffel nicht - ständig macht er mit dem Hinterleib drückende und schiebende Bewegungen. Instinktiv will er sich rückwärts eingraben. Das soll er auch jetzt wieder tun. Lassen wir ihn zurück in den Sand. Wie der Blitz, in Sekundenschnelle, ist er verschwunden. Später wird er wieder eine Grube ausheben. Dazu kriecht er - langsamer als jetzt auf der Flucht - rückwärts in den Boden und schleudert den nachrieselnden Sand fort. So lange, bis ein Trichter entstanden ist, an dessen Grunde er im Sand versteckt auf Beute lauert, die entweder blindlings hineinläuft oder mit dem Sandstrahl vom Kraterrand heruntergeschossen wird.

Ameisenlöwe

Im Sommer vergangenen Jahres begleitete mich ein Freund auf der Schmetterlingsjagd. In einem kleinen Heidegebiet wollte ich feststellen, welche Tagfalterarten zu dieser Jahreszeit dort flogen. Auch meinem Jagdkumpan hatte ich ein Schmetterlingsnetz in die Hand gedrückt. Zum erstenmal in seinem Leben sollte er einen Schmetterling fangen. Ich hatte bereits zwei Exemplare erbeutet und wartete vergeblich auf das Freudengeheul meines Begleiters, der hundert Meter von mir entfernt sein Netz schwenkte. Aber als er ankam, fragte er nur zaghaft: "Brauchst du auch eine Libelle?" Krampfhaft hielt er die Netzöffnung zu. Auf dem Weg zu ihm war ich geneigt, ehrfürchtig meinen Hut zu ziehen. Ich hätte meinem Freund nicht zugetraut, dass er gerade einen solchen pfeilschnellen Flieger wie eine Libelle erwischt hätte. Aber als ich in sein Netz schaute, wußte ich, dass dieser Gedanke überflüssig gewesen war. Er hatte eine Ameisenjungfer erwischt und damit allerdings Glück gehabt, denn so häufig sind sie gar nicht.