Nur die Männchen haben Grund zum Singen

Das Lied der Amsel klingt uns so melodiös, so friedvoll und sympathisch. Aber eigentlich ist's eine Warnung an Rivalen: Das Revier ist schon besetzt!

Amsel

Wahrscheinlich geht es anderen Leuten auch so: Bei mir löst der Amselgesang immer ein Gefühl der Zufriedenheit aus. Da sitzen Sie an einem warmen Sommerabend in einem Park, und auf einem Baum in Ihrer Nähe singt eine Amsel. Sie singt und singt, und jede Strophe hat eine neue Melodie. Der Gesang ist nicht aufdringlich, doch übertönt er die abendlichen Geräusche. Er lullt ein und vermittelt das Gefühl tiefen Friedens.

So etwa wirkt der Reviergesang des schwarzen Vogels auf uns. Natürlich singt er nicht, um uns friedlich zu stimmen. Sein vielstrophiges Lied hat nur den Zweck, seinen Artgenossen mehrmals am Tage deutlich zu machen: "Hier ist mein Revier, hier brütet mein Weibchen, und ich werde jeden zerzausen, der sich in meinem Revier zu schaffen macht."

Es sind darum auch immer nur Männchen, die singen. Man kann sie leicht an ihrem schwarzen Gefieder, dem gelben Schnabel und dem gleichfarbenen Augenring erkennen. Die Amselweibchen tragen dagegen wie sehr viele weibliche Vögel ein Tarnkleid: Der Schnabel und die Oberseite des Gefieders sind bräunlich, unterseits etwas heller und an der blassen Kehle schwärzlich längsgefleckt. Schon als Junge war ich erstaunt, wie spät man bei einem Amselnest entdeckt, dass das Weibchen auf den Eiern sitzt. Meist sind die glänzenden, dunklen Augen das einzige, was man von dem Tier im Halbdunkel des Nistgebüschs wahrnimmt.

Vor hundert Jahren war die Amsel noch ein scheuer Vogel, der nur in Wäldern lebte und auch ausschließlich dort brütete. Mit der Zeit hat sich dann ein Teil der Amselbevölkerung dem Menschen angeschlossen. Die Tiere wurden zu "Kulturfolgern", wie der Fachausdruck heißt. Sie verließen den Wald und sind heute in jedem Garten, sogar mitten in Großstädten zu finden. Dem Menschen gegenüber haben sie fast alle Scheu verloren.

Vögel